pro domo

Die Lage der Psychotherapie: eine Katastrophe

Dieser Artikel ist die Fortsetzung des allerersten Aufsatzes, den ich in dieser Reihe schrieb (Psychotherapie: Luxus oder Selbstverständlichkeit, 1999). Wie sieht es jetzt aus, fast 14 Jahre nach dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes? Die kurze Antwort: katastrophal.




Psychotherapie ist hocheffektiv. Ihre Effektstärken übertreffen beispielsweise diejenigen von Bypass-Operationen (Nübling, 2011) und vielen anderen medizinischen Verfahren. Das gilt besonders für die kürzeren verhaltenstherapeutischen und tiefenpsychologischen Therapien, weil hier zur allgemeinen Effektivität noch die Wirtschaftlichkeit hinzukommt.

Nichtsdestoweniger wird die Lage der Psychotherapie und der Psychotherapeuten in Deutschland immer schlechter. Gleichzeitig steigt die Zahl psychischer Erkrankungen dramatisch. Armut und Unsicherheit greifen um sich und diejenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben, werden als 'Menschenmaterial' durch 'zahlenorientierte Führungsstile' zu Leistungen angetrieben, die mit psychischer (und physischer) Gesundheit zunehmend unvereinbar sind.

2007 war ich der Ansicht, dass "die Integration der psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten in die vertragsärztliche/psychotherapeutische Versorgung stattgefunden hat und dass davon die gesamte Psychotherapie, auch die ärztliche, profitiert" (Psyon:Schattenseiten, 2007). Ich habe mich geirrt! Der G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen und der KBV/KVen) machte nun endgültig deutlich, was man im zunehmend neoliberal organisierten Gesundheitswesen von der Psychotherapie hält:

Die BPtK berichtete dazu am 20.12.2012:

Krankenkassen und Kassenärzte hatten am 9. Oktober 2012 beschlossen, "zusätzliche" Psychotherapeuten zuzulassen und dafür rund 100 Millionen Euro bereitzustellen. […] Aktuell arbeiten rund 21.600 niedergelassene Psychotherapeuten in Deutschland. Wenn sich wirklich zusätzlich circa 1.300 Psychotherapeuten niederlassen dürften, gäbe es zukünftig insgesamt 22.900 Praxen. Tatsächlich rechnet der G-BA mit den Zahlen von 1999, als in Deutschland nur knapp 13.800 Psychotherapeuten niedergelassen waren. Der G-BA plant deshalb mit rund 15.100 Praxen. "Das sind durchsichtige Rechentricks auf Kosten psychisch kranker Menschen", urteilt BPtK-Präsident Richter.

Es ist viel mehr als das. Es ist, gerade wegen der kaum noch stattfindenden Verschleierung, eine Art Kriegserklärung an die Psychotherapie und die Psychotherapeuten in diesem Land. In demselben Artikel der BPtK wird darauf hingewiesen, dass die Kassen 2 Milliarden jährlich für Krankengeld bei psychischen Erkrankungen ausgeben, aber nur 1,7 Milliarden für ambulante Psychotherapie. Patienten warten immer länger auf Therapieplätze, was diese Krankengeldzahlungen zur Folge hat. Allein schon die Idee, die Psychotherapieversorgung auf den Stand von 1999 zurückzufahren, ist also nur noch als gezielte Attacke auf die Psychotherapeutenschaft zu verstehen.

Wir haben es jahrelang zugelassen, völlig unzureichende Honorare zu bekommen und nur bei den gröbsten Unverschämtheiten das Bundessozialgericht angerufen, das sie dann auch korrigiert hat - mit dem Effekt, dass diese Urteile inzwischen einfach ignoriert werden. Wir haben zugestimmt, dass Psychotherapie nicht mehr zu Lasten der Fachärzte geht. Wir haben in der Selbstverwaltung konstruktiv mitgearbeitet. Wir haben jeden Qualitätssicherungsunsinn mitgemacht und nur selten darauf hingewiesen, dass Qualität durch ordentliche Bezahlung am besten gesichert werden kann. Was wir erreicht haben, ist ein weiterer Tritt in den Hintern.

Psychotherapeuten passen in der Tat schlecht ins neoliberale Konzept.
• Wir verordnen nichts (auch die ärztlichen Kollegen nur sehr wenig), sind also für die Pharmaindustrie ein Totalausfall. Den kann sie zwar durch die stramme biologische Kehrtwendung der Psychiatrie ein bisschen wettmachen, aber brauchbar sind wir für sie nicht. Vielmehr profitiert sie vom Niedergang der Psychotherapie, denn die Patienten werden dann vermehrt mit Psychopharmaka behandelt.
• Wir operieren natürlich auch nicht und verwenden so gut wie keine Apparate, sind also auch für die Medizinindustrie völlig uninteressant.
• Wir nehmen uns Zeit für unsere Patienten, und weil unsere Leistungen zu Recht zeitgebunden sind, können wir nicht einfach mehr in derselben Zeit machen.
• Patienten spielen im neoliberalen System keine Rolle als Patienten, sondern als Kunden, denen etwas verkauft werden soll, was möglichst viel Umsatz generiert. Deshalb kriegen chirurgische Chefärzte Bonusverträge.
• In diesem System wird Wettbewerb zwischen den Behandlern propagiert. Dazu würde eigentlich gehören, dass bessere Leistungen auch besser honoriert werden. Im neoliberalen Wettbewerb geht es aber nicht darum, wer es am besten, sondern wer es am billigsten macht oder die meisten Lobbyisten hat.

Die Einkommensituation der Psychotherapeuten weist denn auch für die letzten 12 Jahre einen realen Einkommensverlust von ca. 14% aus. Wir erhalten - arbeitszeitbereinigt - ungefähr die Hälfte des ärztlichen Durchschnittseinkommens und ungefähr ein Drittel bis ein Viertel der fachärztlichen Spitzengruppen.

Die folgenden Zusammenstellungen (Hertel, 2012, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors) zeigen das noch einmal grafisch. (Zur Vergrößerung auf die Bilder klicken. Siehe auch unter Psyon:Schattenseiten: Seite 7: 'Gutmenschen')


Hierarchie der Praxisgewinne in der kassenärztlichen Versorgung:
Grün = Psychotherapeuten

Gif Ueberschuss2011


Einkommensentwicklung der Psychotherapeuten:
Grün = Inflation 2000-2012;
Rot = Honorarentwicklung für eine Therapiestunde 2000-2012

Gif Honorarverlust


Jede Erhöhung der Honorare - auch die für 2013, die politischerseits den Hausärzten und Psychotherapeuten zugedacht war - versandet im KBV-Verteilungs-Dschungel, bevor etwas Nennenswertes davon bei uns ankommt. Na ja, jetzt kriegen wir 73 cent mehr für eine genehmigte Therapiesitzung: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Die psychotherapeutische Versorgung leidet darunter in mehrerer Weise:
• Weil die Gutachter-Berichte im Schnitt zwischen 3 und 5 Stunden dauern (vgl. Sievers, Psychotherapie-Aktuell 4/2012) und ab 2013 noch schlechter bezahlt werden als bisher, werden viele Psychotherapeuten Langzeittherapien nicht mehr oder nur noch bei sehr strenger Indikationsstellung anbieten.
• Die Nachbetreuung von Patienten und die Betreuung chronisch Kranker mittels der sogenannten 'Gesprächsziffer' (EBM 23220) ist ebenfalls ein finanzielles Fiasko und viele Therapeuten werden das nicht mehr machen.
• Schwere Fälle werden es daher nicht leicht haben, einen Therapieplatz zu finden. - Seit Jahr und Tag werden wir von psychiatrischen Verbandsfunktionären traktiert, dass die ganze Arbeit mit den Schwerkranken an den Psychiatern hängenbliebe und wir uns die 'Befindlichkeitsstörungen' herauspickten (der zweite Teil des Arguments lautet dann, dass wir die Schwerkranken nicht behandeln können, weil wir dafür nicht qualifiziert seien. Alles direkt nebeneinander. Geordnetes Denken, eben.) - Nun könnte der erste Teil dieses Arguments wahr werden. Passenderweise war in der heutigen Post eine Therapieplatz-Suche, die die KV im Namen der BEK/GEK herumschickt. Man fasst es nicht!

Das wirklich Schlimme an all dem ist, dass es zu Lasten der Kassenpatienten geht, denen man durch diese Abwürgung der Psychotherapie den gesetzlich garantierten Zugang dazu wegnimmt. Für das Ruhrgebiet und Teile Ostdeutschlands wird eine Therapeutendichte von 1:10000 für ausreichend gehalten. Das ist zynisch. Aber selbst in Regionen, die erheblich höhere Therapeutendichten haben, warten Patienten u.U. mehrere Monate auf einen Therapieplatz. Nun könnten also ca. 6000 Therapiesitze in 'überversorgten Gebieten' eingestampft werden...


-Dezember 2012-

© Hans Metsch
1951-2023